Ohne irgendwem zu nahe treten zu wollen oder die Fähigkeiten in anderen Genres abzuwerten, geht es hier einzig und ausschließlich um Eigenheiten von Salsa-Musik, welche beim Spielen das Herausbilden eines herausragenden Rhythmusgefühls begünstigen.
“Writing about music is like dancing about architecture” – Unbekannt
Was ist eigentlich Rhythmusgefühl?
Die Fähigkeit den Puls in der Musik zu spüren. Passiv, indem man ihn wahrnimmt und darauf reagieren kann (mit Tanzen zum Beispiel), oder beim Musikmachen auch aktiv, indem man ihn erzeugt. In Form von Instrumenten hat man es wortwörtlich in der Hand, ob die Musik kräftig und voller Leben ist oder vor sich hinvegetiert. Man kann beim aktiven Rhythmusgefühl zwei Ebenen unterscheiden.
Makrotiming; bei welchem es um Präzision und Konstanz geht. Das heißt, dass die Töne und Geräusche in einem Lied möglichst genau im Takt gespielt werden – nach mathematischen Maßgaben. Das Tempo bleibt stetig, kein Ton ist vorgezogen oder verspätet. (Computer sind relativ gut in sowas.)
Mikrotiming; bei welchem es um kontrollierte Abweichungen (Vorziehen oder Schleppen) einzelner Noten von diesem Grundraster geht. Rhythmische Figuren erhalten dadurch jeweils einen eigenen Charakter. In Abkehr von mathematischer Präzision bewirkt die vermeintliche Imperfektion auch eine Vermenschlichung des Rhythmus und trägt so ein gewisses Gefühl in sich. In der Praxis beim Spielen sind es Hundertstelsekunden, welche darüber entscheiden, ob sich etwas besonders interessant anhört oder einfach nur falsch. Man kann es nur spüren und ein Stückweit ist es subjektiv.
Rhythmusgefühl ist nicht etwas, das man hat oder nicht, sondern etwas das man erlernen und üben kann. Beim Menschen befindet es sich nicht nur im Kopf sondern gleichermaßen im Körper. Nicht metaphorisch sondern wortwörtlich. Die Bewegungen mit denen wir auf Musik reagieren oder sie beim Spielen von Instrumenten erzeugen sind im Muskelgedächtnis festgeschrieben. Rhythmus wird vom Menschen kognitiv verarbeitet, indem er mit Bewegungsimpulsen und -abläufen verknüpft wird – nicht zuletzt, da sich der Gleichgewichtssinn des Menschen im Ohr befindet. Das gleiche Organ, welches den Rhythmus wahrnimmt, ist es, das uns sagt, wenn es an der Zeit ist, sich zu bewegen.
Und was ist eigentlich Salsa?
Wörtlich Soße. Es gibt verschiedene Theorien, aber grundsätzlich ist der Name bedingt dadurch, dass von New York bis Caracas verschiedene afrokaribische, afroamerikanische und andere Musikstile (Son, Jazz, Mambo, Chachachá, Rumba, uvm.) in einen Topf geworfen und vermischt wurden. Das klingt außergewöhnlich, ist aber eigentlich bei vielen Musikgenres so. Dementsprechend gibt es auch verschiedene Subgenres und Überschneidungen zu anderen Genres.
Die klassische Salsa-Musik seit den 1960er Jahren ist geprägt durch prominenten Gesang, der nebst der üblichen Liebesthematiken teilweise komplexe Geschichten erzählt oder sozialkritische Themen aufgreift; viel harmonische Spannung; Dramatik; Tanzbarkeit; harte Brüche zwischen einzelnen Teilen einer Komposition; prägnante melodische Akzente; mittlere bis schnelle Tempi; ausladende Instrumental- und Soloteile; Virtuosität und eine recht eigenwillige Instrumentalbesetzung.
Neben dem Gesang wird die Melodie zumeist nur von Blasinstrumenten (vor allem Posaunen, aber auch Trompeten und Saxofonen) getragen, harmonische Grundlage kommt zumeist vom Piano oder Saiteninstrumenten (Tres, Cuatro).
Rhythmus im Salsa
Die Rhythmussektion eines Salsa-Orchesters besteht aus (Kontra)bass und diverser Percussion, wodurch verhältnismäßig viele Personen beteiligt sind. Unterschiedlichste Zusammensetzungen sind möglich, und beinhalten Bongos, Congas, Timbales, Kuhglocken, Becken, Maracas, Shaker, Holzclaves, Guiro, uvm.
Zwei rhythmische Besonderheiten machen Salsa zu dem was es ist:
Die Clave als Grundkonzept des rhythmischen Pulses. Während in einem Großteil von heute populären Musikgenres (Elektronischer Tanzmusik, Rock, Country, Volksmusik, Hip-Hop, Metal uvm.) die Betonungen in einem Takt für gewöhnlich gleichlang sind, bedient man sich bei Salsa einer Variation, welche die Takte in ungleichlange Teile mit jeweils 2 oder 3 Schlägen gliedert. Statt einer Gliederung der Achtelnoten im Takt in 2+2+2+2 erfolgt diese zum Beispiel in 3+3+2.
Visualisiert sieht dies so aus:
Meistens:
3+3+2
Ein sich wiederholendes rhythmisches Grundmuster ist weiterhin vorhanden, aber es ist zunächst einmal komplexer. Grundsätzlich ist eine Anordnung der 3er und 2er Blöcke (häufig auch über zwei Takte hinweg) in einer Vielzahl von Kombinationen und Variationen möglich und kommt in Salsa-Musik zur Anwendung. Als Standards gelten:
3/2 Son-Clave:
2/3 Son-Clave:
3/2 Rumba-Clave:
2/3 Rumba-Clave:
Polyrhythmik: Es bleibt jedoch nicht bei einem Puls. Ausgerichtet an der Clave gibt es bei Salsa immer zahlreiche voneinander unabhängige Rhythmen, welche in Wechselwirkung treten und erst im Zusammenspiel ein vielschichtiges rhythmisches Fundament kreieren. Dieses variiert zumeist über die einzelnen Teile einer Komposition und lässt Raum für Improvisation. Es werden viele Fills und Akzente gespielt. Hierbei wird bisweilen offen mit dem Chaos geflirtet.
In allereinfachster Form würde das zum Beispiel so aussehen:
Man wächst mit seinen Herausforderungen
Hieraus geht eine Reihe von Gründen und Indizien dafür hervor, dass das Spielen von Salsa-Musik das Herausbilden eines tadellosen Rhythmusgefühls begünstigt:
Aufgewachsen mit der Clave als rhythmischem Grundkonzept, lernt man sich zu orientieren, obwohl die Längen der Betonungen innerhalb eines Taktes variieren. Dies Bedarf zunächst erstmal eines grundsoliden Rhythmusgefühls.
Es gibt in einer Salsa Band kein rhythmisches Zentrum (z.B. ein Schlagzeug). Der Rhythmus wird stattdessen im Zusammenwirken dezentral von einer größeren Anzahl an Menschen kollektiv hergestellt. Um sich als einzelnes Instrument in ein ständig wandelndes Geflecht aus Polyrhythmik in passender Weise einzufügen, braucht es Feingefühl und Umsicht bei allen Beteiligten, einen geschärften Rhythmussinn sozusagen. Man muss gut aufeinander hören können, um sich nicht auf die Füße zu treten. Erstaunlicherweise ist die Percussion in Salsaorchestern dadurch gekennzeichnet, dass sie die meiste Zeit im Hintergrund bleibt und die ihr zugewiesene Rolle effizient aber unscheinbar erfüllt. Da Percussion Instrumente generell über ein beschränktes Klangspektrum verfügen, besteht das Erlernen der Instrumente in der Perfektion kleinster Nuancen.
Die großen Salsasänger*innen glänzen nicht so oft durch Tonumfang und Volumen ihrer Stimmen (auch wenn sie es sicher könnten). Sie agieren – manchmal an der Schwelle zum Sprechgesang – häufig innerhalb nur weniger Töne, kreieren aber dennoch interessante Melodien, indem sie kreativ mit der rhythmischen Platzierung der Töne umgehen. Dabei schrecken sie auch nicht vor sehr anspruchsvoller Rhythmik zurück. Üblicherweise tanzt der Gesang bei Salsa Konzerten und bedient dabei nicht selten auch noch Handpercussion – permanentes rhythmisches Multitasking.
Die Bläser als prägnanteste Melodieinstrumente spielen in ihren Teilen nicht nur komplexe rhythmische Figuren, aber tuen dies zumeist mit mehreren Instrumenten unisono. D.h. sie spielen wie mit „einer Stimme“ gemeinsam identische Melodien, um diesen mehr Kraft zu verleihen. Die Wirkung dieser Technik steht und fällt mit präzisem Rhythmusgefühl (Makro- und Mikrotiming) der Beteiligten.
Die Harmonieinstrumente in Salsa arbeiten zumeist nicht mit Flächen und lange stehenden Tönen, sondern spielen Arpeggio. Bei dieser Technik werden Akkorde in Einzeltöne gebrochen und über den Takt verteilt anstatt gleichzeitig gespielt zu werden. Der Effekt einer Harmonie entsteht durch das schnelle, rhythmisch gleichmäßige Hintereinanderspielen der einzelnen Töne. Auf diese Weise erhält das rhythmische Fundament eines Liedes mehr Kontur. In der Tat kann man die Harmonieinstrumente bei Salsa getrost als integralen Teil der Rhythmussektion betrachten.
Da der Bass in Salsa-Musik (in Abwesenheit z.B. einer Bass-Trommel vom Schlagzeug) die tiefen Frequenzen ganz für sich allein zur Verfügung hat, kommt ihm in der Musik verhältnismäßig viel Rampenlicht zu. Die tiefen Frequenzen sind insofern besonders, da sie vom Menschen auch bewusst als Vibration wahrgenommen werden. In Alleinverantwortung für den Teil der Musik, welcher das „Bouncen“ ausmacht, spielt der Bass bei Salsa selten komplizierte Melodien, aber dafür rhythmisch sehr prägnant.
Nicht zuletzt beinhaltet die Salsakultur nebst der Musik als zentrales Element den Tanz. Man hat es somit per Definition mit einem Publikum zu tun, welches selbst Rhythmusgefühl für die eigene Kunst kultiviert und entsprechend anspruchsvoll ist. Da Salsa zumeist als Paartanz getanzt wird, besteht auch hier die Notwendigkeit zur Koordination, welche vom Rhythmusgefühl und einem kräftigen Puls in der Musik profitiert.